Letztes Drittel des 20. Jahrhunderts

Die Städtische Wirtschaftsschule

Wieder ein neuer Name

Das Gesetz über das berufliche Schulwesen von 1972 brachte für die Städtische Handelsschule die zweite Namensänderung. In ganz Bayern wurden die Handelsschulen in Wirtschaftsschulen umbenannt. Dieser Name sollte der auch inhaltlich - fachlichen Veränderungen besser Rechnung tragen. War das nötig? Wir waren alle etwas enttäuscht, vor allem die älteren Lehrkräfte der Schule trauerten dem alten Namen “Handelsschule” nach. Verband sich mit diesem doch in der Öffentlichkeit die Tradition und der gute Ruf der Schule.

Dieser gute Ruf führte dazu, dass die Schule ab dem Schuljahr 1976/77 Seminarschule wurde. Rund 130 Referendare machten seit dieser Zeit in der Städtischen Wirtschaftsschule erste Unterrichtsversuche und wurden zu guten Lehrerinnen und Lehrern ausgebildet. Der gute Ruf der Schule brachte aber auch einen weiteren Anstieg der Schülerzahlen. Die größte Schülerzahl ihrer Geschichte hatte die Städtische Wirtschaftsschule im Schuljahr 1978/79: 729 Schüler und Schülerinnen wurden in 23 Klassen unterrichtet. Ungelöst war deswegen weiterhin das Raumproblem, das bis in die 80er Jahre ständige Auslagerungen von Klassen in die Burkarder Schule und die Pestalozzischule und viele Hin- und Herfahrten für die Lehrkräfte verursachte. Eine gewisse Entlastung brachte der Neubau des kaufmännischen Berufsbildungszentrums in der Sanderau. Ursprünglich war dort für die Städtische Wirtschaftsschule ein ganzer Block eingeplant. Dieser wurde jedoch wegen der nachträglichen Vergrößerung der s.Oliver-Arena (damals noch Carl-Diem-Sporthalle) wieder gestrichen und die Schule blieb in der Josefschule. Ein Stockwerk im Block B des KBBZ, d.h. 9 Schulsäle wurden uns ab 1980/81 für eine Außenstelle zugeteilt. Die Fachräume für Maschinenschreiben und Maschinenrechnen waren aber in der Josefschule eingerichtet, so dass die Klassen tageweise wechseln mussten. Eine entscheidende und bis heute bedeutsame Weiterentwicklung brachte das Schuljahr 1974/75. Neben der dreijährigen Wirtschaftsschule begann die Einrichtung der vierjährigen Wirtschaftsschule mit der Differenzierung in H- und M-Zweig. Diese vierstufige Form - die Klassen wurden jetzt 7, 8, 9 und 10 genannt - setzte sich in den folgenden Jahren immer mehr durch, konnte aber die bewährte dreijährige Wirtschaftsschule nicht ganz verdrängen. Besonders die privaten und kommunalen Wirtschaftsschulen, so auch unsere Schule, führten beide Formen nebeneinander.

Der Traum des Schulleiters Eduard Rößler, einmal ein neues eigenes Schulhaus für seine Schule zu bekommen, konnte leider nicht verwirklicht werden. Am 31. Dezember 1981 trat er in den Ruhestand. In seine Amtszeit fielen entscheidende Änderungen in der Handels- und späteren Wirtschaftsschule: Die Namensänderung, die vierjährige Form, die neu konzipierten Fächer Betriebsorganisation und Rechnungswesen. Bei diesen Reformen war Herr Rößler maßgeblich beteiligt. So war er als Mitglied in Kommissionen beim Staatsinstitut für Schulpädagogik tätig und arbeitete dort an den Lehrplänen für Betriebsorganisation, Rechnungswesen und Betriebswirtschaftslehre mit. Bei seiner Verabschiedung erwähnte er die Probleme der Städtischen Wirtschaftsschule und unterstrich bei seinem Dank an das Kollegium: “...Es gab Hochs und Tiefs, letztere wesentlich mitbestimmt durch die räumliche und sachliche Zwangssituation, unter der die Schule zu leiden hatte. Trotz aller Widrigkeiten ist es uns gemeinsam gelungen, den Intentionen und Zielsetzungen unserer Schule voll zu entsprechen.”

Zu seinem Nachfolger wurde aus dem Kreis des Kollegiums Herr Oskar Lipecki ernannt. Schon als Schüler hatte Herr Lipecki 1949 bis 1951 die damalige Handelsschule besucht. Nach seinem Studium als Diplomhandelslehrer kehrte er 1960 als Lehrkraft an die Schule zurück. Aufgrund seiner Fähigkeiten wurde er schon frühzeitig zum Betreuungslehrer für Referendare, zum Beratungslehrer und zum Fachbetreuer bestimmt. Bei seinem Amtsantritt 1982 schrieb er in seinem ersten Jahresbericht: “Mein Bestreben wird es sein, im Mittelpunkt aller Bemühungen immer den Schüler zu sehen. Mithelfen möchte ich, dass der gute Geist und das familiäre Klima, das an unserer Schule herrscht, erhalten bleiben.” Dieses Ziel hat er in seiner Amtszeit erreicht. In der Sache klare Entscheidungen, soviel Freiheit wie möglich und nur soviel Regelungen wie nötig - das war sein Standpunkt.

Oskar Lipecki (1982 - 95)

Umzug in die Pestalozzischule

Der Umzug von der Josefschule in die Pestalozzischule, die Weiterentwicklung der Wirtschaftsschule, das neue Konzept für die Wirtschaftsschule der 90er Jahre und den Eintritt in das nächste Jahrhundert waren die Höhepunkte der Zeit von 1982 - 1995.

Im April 1982 wurde erstmals in der Geschichte der Schule ein Kunstwettbewerb durchgeführt. Man wollte damit den vielen künstlerisch tätigen Schülern die Gelegenheit geben, an die Öffentlichkeit zu treten, und andere Schüler anregen, sich mit der Kunst auseinanderzusetzen. Nach 33 Jahren Josefschule erfolgte im Jahre 1983 der Umzug in die Pestalozzischule. Mit einem Schulfest nahm die Schulfamilie Abschied von ihrem alten Schulhaus, das im Laufe der Jahrzehnte zu klein geworden war. Durch den Umzug hat sich die Raumsituation erheblich verbessert. Jetzt konnte auch der Sportunterricht voll erteilt werden, da nun zwei Sporthallen zur Verfügung standen

Die (vorerst?) letzte Station

Im August 1983 trat eine neue Schulordnung für die Wirtschaftsschule in Kraft. Die neue Wirtschaftsschulordnung (WSO) festigte vor allem den Charakter der Wirtschaftsschule als Berufsfachschule. Der Stellenwert der Wirtschaftsschulen als eigenständige Berufsfachschule mit mittlerem Bildungsabschluss wurde damit abgesichert. Entsprechend den Zeiterfordernissen wurde die Stundentafel aktualisiert und die Fachpraxis noch verstärkt. Das Fach Datenverarbeitung, das bisher in der Betriebsorganisation enthalten war, wurde eigenständiges Fach. Durch die Einführung der Übungsfirma im Wahlfach Betriebswirtschaftliche Übungen erhielt die Wirtschaftsschule eine Chance zur Weiterentwicklung und Profilierung innerhalb des bayerischen Schulwesens. Die durch die neuen Lehrpläne vorgeschriebenen Anforderungen verlangten im Schuljahr 1984/85 erhebliche Investitionen in den Maschinenpark der Schule. Die finanziellen Aufwendungen für die Übungsfirma und eine neue EDV-Anlage wurden gemeinsam durch die Stadt Würzburg und die Elternspende finanziert. Die moderne und hervorragende technische Ausstattung der Schule und das große Engagement des Lehrerkollegiums ermöglichten den Schülern der Wirtschaftsschule eine immer realitätsnähere und praxisbezogenere Ausbildung. 1987/88 begannen die Arbeiten für das “Profil der Wirtschaftsschule der 90er Jahre”. Ein Konzeptionsarbeitskreis arbeitete ein gemeinsames Lehrplanpaket aus, womit eine stärkere Lehrplanintegration angestrebt wurde. Ab dem Schuljahr 1988/89 wurden alle Schularten verpflichtet, die ínformationstechnische Grundbildung im Unterricht einzuführen. Aufgrund ihrer modernen Konzeption hatte die Wirtschaftsschule bis dahin schon ca. 80% der Lernziele und Lerninhalte dieser ITG mit dem Fach Datenverarbeitung abgedeckt. Die schreibtechnischen Fächer Kurzschrift und Maschinenschreiben wurden zu “Textverarbeitung” verknüpft, wobei der Computer die Schreibmaschine ersetzte. Das 1986 in Kraft getretene Bilanzrichtliniengesetz hat bereits im Schuljahr 1987/88 im Fach Rechnungswesen zu wesentlichen Veränderungen geführt.

Im Rahmen allgemeiner Sparmaßnahmen fasste der Stadtrat 1988 einen schwerwiegenden Beschluss, der die Schullandschaft in der Stadt Würzburg hart getroffen hat. Die beiden städtischen Gymnasien und die Städtische Wirtschaftsschule durften ab dem Schuljahr 1988/89 nur noch 3 Eingangsklassen bilden. Für die Wirtschaftsschule bedeutete diese Festschreibung nur noch 2 Eingangsklassen im 4jährigen Zweig und nur eine Eingangsklasse im 3jährigen Zweig. Als Folge dieses Stadtratsbeschlusses sank die Klassenzahl bis 1991/92 auf 11 Klassen. Damit wurde auch die Raumnot der Wirtschaftsschule beendet.

Im Mai 1990 hatte das Kultusministerium die Konzeption der Wirtschaftsschule weitgehend abgeschlossen, sodass die neue Stundentafel und die Lehrpläne bereits mit dem Schuljahr 1990/91 probeweise eingeführt wurden. Durch die Festschreibungen der neuen Lehrpläne wurde im Schuljahr 1992/93 in allen Fächern ein Aktionsrahmen geschaffen, innerhalb dessen es der Wirtschaftsschule ermöglicht wurde, angemessen auf die wirtschaftlichen, technischen und gesellschaftlichen Erfordernisse des nächsten Jahrzehnts zu reagieren. Mit dieser neuen Konzeption wurde rechtzeitig dem Trend zur Büro-, Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft mit den zunehmenden Anforderungen des rationellen Schreibens, des Computereinsatzes sowie der neuzeitlichen Informations- und Kommunikationstechnik Rechnung getragen.

Mit Ablauf des Schuljahres 1994/95 trat Schulleiter Oskar Lipecki in den Ruhestand. Gesundheitliche Probleme machten es ihm unmöglich, seinen Dienst weiterzuführen. Fast 14 Jahre lang hat er die Städtische Wirtschaftsschule geführt und in dieser Zeit Atmosphäre und Geist der Schule entscheidend geprägt. Nach 35 Jahren als Lehrer und Schulleiter verließ er “seine” Schule, die ihm viel verdankt. Nachfolger wurde Dieter Wolpert. Auch er war - wie sein Vorgänger - Schüler der damaligen Handelsschule und kam nach dem Abitur und dem Studium 1962 als Diplomhandelslehrer an die Schule zurück, seit 1989 war er Ständiger Vertreter des Schulleiters.

Dieter Wolpert (1995 - 99)

Schon zum 31. Januar 1999, nach knapp vier Jahren an der Spitze der Schule, verabschiedete sich Dieter Wolpert in den Ruhestand. Damit endete nicht nur eine Beziehung zwischen einem außergewöhnlichen Pädagogen und seiner Schule, die er über viele Jahre wesentlich mitprägte. Er wird möglicherweise auch als letzter Schulleiter in die Historie eingehen, der die Städtische Wirtschaftsschule als eigenständige Schule führen durfte. Durch seine Berufung als Nachfolger von Oskar Lipecki war eine bereits seit längerem vom Schulträger angedeutete Umorganisation noch einmal verschoben worden. Nun aber sollte die Wirtschaftsschule nach dem Willen des Stadtschulrates Rainer Hartenstein organisatorisch einem Schulzentrum zugeordnet werden.

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